Ausgelesen: Silicon Valley

Am Anfang war Skepsis. Das Interesse am berüchtigten Silicon Valley war groß. Auf den ersten Seiten wird dann aber klargestellt, dass Christoph Keese als Journalist für den Axel Springer Verlag arbeitet. Das hatte ich bis zu dem Zeitpunkt übersehen. Silicon Valley, Google, Axel Springer, Leistungsschutzrecht… ich rechnete mit dem Schlimmsten, wurde aber eines besseren belehrt.

Eine eigene Welt

Selbst frisch ins Valley gezogen, gibt Keese zu Anfang erstmal einen Gesamtüberblick, wie es sich dort so lebt. Und, anders als man vermuten könnte, ist erstmal alles recht bodenständig. Kein Prunk und Protz, keine Skyline. Dafür aber nette Nachbarn, multikulturell und Offenheit überall. Im späteren Verlauf werden dann aber auch die Probleme der Gentrifizierung thematisiert. Mit den Bussen voller Entwickler aus San Francisco, die sich ein Leben im Valley nicht leisten können. In San Francisco aber dafür sorgen, das sich Normalsterbliche kaum noch die Miete leisten können.

Das Spannendste war für mich aber die Abschottung nach Außen. Entweder man ist vor Ort oder man hat so gut wie keine Chance Anschluss zu finden. Der Autor selbst ist mit seinen Interviewanfragen per Mail z.B. gescheitert und fand erst über persönliche Kontakte im Valley die Möglichkeit zu vielen spannenden Interviews. Der Eindruck entsteht, dass es sich beim Silicon Valley um eine ganz eigene Welt handelt. Dieser Eindruck wird im Laufe des Buches manifestiert.

Venture Capital

Weiter geht es mit dem, für mich oft nicht greifbaren System, Venture Capital und den Vertretern an der Sand Hill Road. Das System, das extreme Risiko und die Abhängigkeiten der Startups von diesem Kapital, werden verständlich erklärt. In Erinnerung geblieben ist mir dabei die Geschichte eines Teppichverkäufers. Dieser hat den chronisch blanken Startups Teppiche für Firmenanteile verkauft und wurde so letztlich zum Millionär.

Das Wissen um das System Risikokapital, führt im weiteren Verlauf des Buches dann auch dazu, dass man weiß, woher die Konzepte und Arbeitsweisen im Silicon Valley stammen. Es wird auch verdeutlicht, dass eine solche „Kultur“ des Risikokapitals in Deutschland aktuell unmöglich ist und Gründer quasi ins Ausland treibt, wenn diese wirklich international erfolgreich sein wollen.

Stanford

Auch neu war für mich die Rolle der Universität Stanford. Die selbst mitunter dem Vorwurf ausgesetzt ist, mehr Inkubator als Lehranstalt zu sein. Als Anekdote ist es hier nicht weniger als die Goolge-Gründung, die spannende Einblicke in die nicht unumstrittenen Verstrickungen der Uni mit der Startup-Szene demonstriert. Es wird aber klar, dass es ohne die Stanford University, auch kein Silicon Valley geben würde, wie es heute existiert.

Disruptive Innovation

Das Hype Thema der disruptiven Innovation bekommt viel Platz eingeräumt. An vielen Beispielen wird verdeutlicht, in wie vielen Bereichen Erfindungen aus dem Silicon Valley bereits ganze Wirtschaftszweige umgekrempelt haben (z.B. der iPod die Plattenindustrie) oder diese gerade disruptiv am angreifen sind (z.B. airbnb Hotels, Uber das Taxi, Tesla die Autoindustrie).

Es gibt unzählige Beispiele, in denen Technologie-Unternehmen, etablierten Industriezweigen die Hölle heiß machen. Im Silcon Valley geht es so in der Regel auch nicht um eine einfache gute Idee, sondern es erweckt den Anschein, dass es Ideen sein müssen, welche „die Welt verändern“. Dieses „die Welt verändern“ hat sich für mich schon bei Steve Jobs irgendwie falsch angehört. Das die Startups oft mit dem selben Vorsatz ans Werk gehen, finde ich befremdlich.

Trotzdem, die Erfolgsgeschichten die es gibt, geben ihnen Recht: Es muss groß gedacht werden. Und: Nichts anderes erwarten die Kapitalgeber. Ein Startup soll darstellen, wie es gedenkt eine 1 Milliarde Dollar Bewertung zu erreichen. Ansonsten ist es für den Investor uninteressant. Das ist wirklich Größenwahnsinn mit System und im Buch wird erschreckender Weise auch noch erklärt, warum es genau so laufen muss.

Man könnte nun auf die Idee kommen, beim Einschlafen über die nächste disruptive Innovation zu fantasieren. Sich versuchen in Gedanken selbst disruptiv anzugreifen, um daraus neue Strategien zu entwickeln. Ich muss mich im disruptiven, weltveränderten Denken aber wohl noch etwas üben. Bisher führt es nur zu Schlaflosigkeit.

Minimum viable product (MVP)

Die Idee ist da und schnell der Zeitdruck. Jede neue Finanzierungsrunde bedeutet weniger Mitspracherecht, bishin zur völligen Entmachtung. Jeder Tag später am Markt, kann zu spät sein. So ist es nur verständlich, dass im Silicon Valley daran gefeilt wird, wie möglichst schnell ein messbares und verwertbares Produkt an den Markt kommt.

Hier kommt das minimum viable product ins Spiel. Ein Produkt, welches den Kern einer Idee auf den Punkt bringt. Lange Feature-Listen sind erst einmal uninteressant. Ein Produkt muss schnellst möglich an den Markt, seine Akzeptanz muss geprüft werden, es wird gelernt, es wird verbessert und immer so weiter. Die Disziplin liegt darin, diesen Prozess möglichst schnell zu vollziehen.

Ein schönes Beispiel kommt von Eric Ries, der das Buch Lean Startup geschrieben hat und viele der Strategien geprägt und entwickelt hat. Er erzählt im Buch von seinen Anfängen mit IMVU. Einem kompletten Jahr Programmierung, welches letztlich, auf Grund falscher Annahmen, schlicht umsonst war.

Ries hat daraus gelernt, wie wichtig es ist, möglichst alle Annahmen, möglichst früh und einfach zu testen. Und sei es mit einem simplen smoke test, wie z.B.: Ein funktionsloser Button in einer Anwendung, bei dem lediglich getrackt wird, wie oft er genutzt wird. Alleine das kann wichtige Informationen darüber liefern, wie viel Interesse überhaupt an einer Funktion besteht, ohne das auch nur eine Zeile Code für die Funktion geschrieben wurde.

Eine weitere Disziplin die aus diesem Vorgehen entsteht, ist das Pivoting. Stellt sich heraus, dass eine Annahme nicht korrekt war, muss das Startup die Flexibilität haben, darauf zu reagieren. Es geht nicht darum die ursprüngliche Vision über Bord zu werfen, sondern den Weg dorthin anzupassen. Im Buch wird geschrieben, dass es für viele Investoren gar als schlechtes Zeichen gilt, wenn es in einem Startup noch nicht zu einem Pivot kam.

Google

Zurück zur anfänglichen Skepsis: Google wird sehr ausführlich behandelt. Wohingegen etwa Apple oder Amazon nur Nebenrollen haben. Nun schreibt Keese gleich zu Anfang, dass er hier auf Grund der Klagen von Springer gegen Google befangen ist, sich aber um Unvoreingenommenheit bemüht. Genau aus diesem Grund ist es dann vermutlich auch Google, das ordentlich seziert wird. Er kennt sich nun mal mit diesem Thema aus.

Google kommt dann auch so gar nicht gut weg. Das ist keine Kunst, aber doch bleibt immer ein ungutes Gefühl. Warum so viel Google? Wie viel ist davon Abrechnung und wie viel reine Information. Unbestritten für mich ist, dass es eine sehr spannende Auseinandersetzung mit dem Thema Google und dem strategischen Weg zum Erfolg gibt. Ich hätte sie nur lieber in einem eigenen Buch, von einem anderen Autor gelesen.

Mein Fazit

Trotz der vorherigen Skepsis war das Buch für mich eine wirklich spannende, inspirierende und kurzweilige Lektüre. Für mich waren die Interviews und Zitate letztlich das Bindeglied, welches das Buch schlichtweg verdammt unterhaltsam gemacht haben.

Bis es dann zum Ende kommt. In dem es um die singularity university, die Verstrickung mit Google und die Zukunft des Silicon Valley geht. Hier wird das Ganze dann beängstigend und surreal…


Ausgelesen? Ich habe mich dazu entschlossen, Gelesenes auf diesem Weg noch einmal für mich selbst Revue passieren zu lassen. Ich schreibe über das, was hängen geblieben ist, ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit. Sollte ich also irgendwo Unfug verzetteln: Bitte Bescheid geben!